Die Kraft der Wellen
Im Jahr 1981 hatte ich die Gelegenheit, drei Monate als Praktikant zur See zu fahren. Mein Alltag bestand darin, Rost zu klopfen, Farbe aufzutragen und den Laderaum zu reinigen. Drei Tage lang erfuhr diese Routine jedoch eine Zwangspause. Beim Durchqueren der Biskaya brachte der stürmische Wind erst das Schiff zum Schlingern und dann mich in die Horizontale. Wie ich damals am eigenen Leib erfuhr, waren dafür nicht die Höhe der Wellen, sondern deren Frequenz und Intensität verantwortlich.
An diese „nachhaltige Erfahrung“ meines Magens und mir erinnerte ich mich, als ich las, dass spanische Forscher nachweisen konnten, dass die sogenannte Wave Power, also die Energie, die eine einzelne Welle überträgt, in den letzten 60 Jahren jährlich um 0,4 % gestiegen ist. Diese zunächst undramatische Zahl hat jedoch die gleiche Folgen wie Zins und Zinseszins: Sie bedeutet, dass die Wellen im Jahr 2008 die 10-fache Energie übertrugen wie 1948; die Wellen der Biskaya würden mich jetzt schon mit 3-facher Stärke durchschütteln im Vergleich zu meinen „aktiven Seefahrtzeiten“. Da ich nicht annehme, dass meine Seefestigkeit um das Dreifache gestiegen ist, keine besonders angenehme Vorstellung!
Nun ist zugegebenermaßen mein persönliches Wohlbefinden für den überwiegenden Teil der Weltbevölkerung völlig unwichtig, die Gesamtprognose macht aber nachdenklich.
Das Wachstum der Wellengewalt spiegelt sich in der Erhöhung der Oberflächentemperatur der Ozeane und legt den Schluss nahe, dass sich die erhöhte Wellenenergie auf stärkere Winde zurückführen lässt, die wiederum von der Erderwärmung verursacht werden. Die Prognose der Steigerung der Wellenenergie für das Ende dieses Jahrhunderts schwankt zwischen 32 und 122 Prozent. Diese große Spannbreite ergibt sich aus den verschiedenen Annahmen der potenziellen Erderwärmung. „Der maximale Anstieg der Wucht des Wassers wird bei einer durchschnittlichen Erwärmung um zwei Grad erwartet.“ (SZ vom 16.01.2018).
Die ostfriesische Insel Wangerooge verlor bei einer Sturmflut im Jahr 2017 mehr als 85 % ihres Strandes, der dann im Jahr 2018 im Rahmen des Küstenschutzes wieder komplett aufgespült werden musste.
Schleswig-Holstein hat bereits 16 km der Deichlinie erhöht, in den kommenden Jahren sollen 90 km folgen. In Büsum und auf der Insel Nordstrand wurden sogenannte „Klimadeiche“ errichtet: Sie zeichnen sich durch besonders flache Deichkronen aus, die im Falle eines weiteren Steigens des Meeresspiegels problemlos erhöht werden könnten.
Das alles sind keine Schreckensszenarien der Zukunft, die Bagger fahren schon jetzt.
Für die Schriesheimer Ökostromer
Norbert Clasen