30 Jahre Tschernobyl – eine persönliche Erinnerung:

Am 1. Mai 1986, also genau fünf Tage nach dem GAU in Tschernobyl, war mein jüngster Sohn genau einen Monat alt. Die Sonne schien von einem strahlend blauen Himmel. Diesen herrlichen Tag verbrachte die Familie ahnungslos in ihrem gepachteten Stück Garten im Handschuhsheimer Feld. Die Kinder spielten zwischen den Bäumen im Gras und im Sandkasten. Unser Jüngster lag in seinem Körbchen und lachte vergnügt mit der Sonne um die Wette. Am nächsten Tag schlichen sich erste beunruhigende Meldungen über einen Unfall in einem Atomkraftwerk in der Sowjetunion in die Nachrichten. Radioaktive Wolken breiteten sich nach Westeuropa aus. Die Finnen und die Schweden hatten als erste schon vor dem 1. Mai erhöhte Strahlungswerte in der Atmosphäre festgestellt. Und ein paar Tage später wurde es zur Gewissheit, dass der Reaktorunfall in Tschernobyl am 26. April 1986 auch auf das Leben unserer jungen Familie ernste Auswirkungen hatte. Wie konnten wir uns und vor allem das Baby gegen die heimtückischen Strahlen und deren Wirkung schützen? Welche Lebensmittel waren verseucht? Wo konnten die Kinder noch gefahrlos spielen? Auf vielen Spielplätzen wurde der Sand ausgetauscht. Und auch in unserer kleinen Sandkiste im Garten wechselte ich den Sand aus. Und überhaupt – was war mit unserem Garten? Was konnten wir noch mit gutem Gewissen essen? Schließlich trug ich die oberste Erdschicht des Gartens dort, wo wir Salat und Gemüse anbauten, ab. Wir horteten H-Milch, die vor dem 26. April hergestellt worden war. Zur wöchentlichen Pflichtlektüre wurde eine schmucklos gedruckte Broschüre, die von einer Bürgerinitiative aus Wiesbaden herausgegeben wurde. In dem Blättchen wurden die aktuellen Messwerte zur Verstrahlung von Lebensmitteln mit ihrer Herkunft veröffentlicht. Danach richtete sich unser Einkaufszettel. Wir waren sehr verunsichert.

Im Schwarzwald machte sich eine Bürgerinitiative auf, aus der Atomkraft auszusteigen und ihre eigene Stromversorgung zu übernehmen, die „Rebellen von Schönau“. Heute sind sie erfolgreich als Elektrizitätswerke Schönau (EWS) am Markt. Von dort beziehen die Kunden des Schriesheimer Ökostrom+ ihren 100%igen Ökostrom.

Die Erlebnisse und Erfahrungen nach Tschernobyl haben meine Einstellung zur Nutzung der Kernenergie bis heute geprägt. Wie hieß es damals: „Das Restrisiko ist das Risiko, das uns den Rest gibt.“ Bis heute sind Pilze und das Fleisch von Wildschweinen aus manchen Gegenden Südbayerns nicht genießbar.

Hinweis:
Besuchen Sie die Ausstellung „30 Jahre Tschernobyl – die Katastrophe und ihre Folgen“ im „mittendrin“ in der Kirchstraße 4.

Winfried Plesch